Johanna

Text: Danielle Smith // Fotos: Rebekka Eversmann

 

An einem sonnigen Tag treffe ich Johanna Lütkehölter im Café Eden im Park Sanssouci, nur einen Katzensprung von ihrer WG in Potsdam-West entfernt. Zigarette in der einen Hand, Hundeleine in der anderen, setzen wir uns auf einen Holzstamm am Rand des Café-Geländes. Stylisch-schlicht gekleidet mit einem Übergangsmantel in Camel und einer Sonnenbrille auf ihrem rotblonden Pagenkopf, wirkt die 33-jährige Mecklenburgerin sowohl unbeschwert als auch elegant. Nach jeder Antwort lacht sie herzlich. Ihr Hund Filou unterbricht unser Gespräch ab und zu mit lautem Gebell. Selbstbewusst erzählt Johanna von ihren Erfahrungen als Streetworkerin mit Menschen ohne festen Wohnsitz in Potsdam. Diese Arbeit hat sie im Lauf der Zeit hart an ihre Grenzen geführt und ihr viel über sie selbst gezeigt – letztlich hat sie dort aufgehört.

Fühl dich eingeladen zu einem Gespräch über Begrenzungen, Bedürfnisse und Selbstfürsorge.

 

Erzähl uns ein bisschen von dir

Letztes Jahr, nachdem ich als Streetworkerin aufgehört hatte, nahm ich mir eine längere Auszeit – sechs Monate. Ich bin ein bisschen gereist, brauchte einfach Abstand zur sozialen Arbeit. Dann fing ich im Lindenpark an zu arbeiten, dem Jugendkultur- und Familienzentrum in Potsdam-Babelsberg. Dort bin ich Sozialarbeiterin im offenen Kinder- und Jugendtreff. Durch unseren Skatepark auf dem Hof haben wir viel mit Skateboardern und BMX-Fahrern zu tun. Dort habe ich eine halbe Stelle, weil ich nicht mehr so viel arbeiten möchte. Darüber hinaus habe ich auch noch einen Lehrauftrag an der Fachhochschule Potsdam, wo ich Seminare zum Thema Persönlichkeitsentwicklung in der sozialen Arbeit anbiete.

 

Zu deiner Arbeit als Streetworkerin: Warum wolltest du dich für Menschen ohne festen Wohnsitz engagieren?

Zuerst einmal will und brauche ich einen Job, der gut zu meiner Persönlichkeit passt. Einen, der flexibel ist, abwechslungsreich und bei dem ich viel unterwegs sein kann. Das hat man bei der Arbeit mit Menschen ohne festen Wohnsitz auf jeden Fall. Ich war viel draußen, habe aber auch viel konzeptionelle und politische Arbeit gemacht. Das hat mir total gut gefallen. Ich habe auch so was wie einen Gerechtigkeitssinn; will mich für Menschen einsetzen, die von der Gesellschaft abgelehnt werden. Abgelehnt zu werden habe ich früher auch selbst erlebt. Dann zu erfahren, dass es da jemanden gibt, der für einen da ist, ist so cool. Deswegen mache ich soziale Arbeit. Ich will Menschen befähigen, bestärken. Ihnen sagen: „Hey, ihr könnt das. Ihr könnt etwas machen. Ihr seid fähig.“

 

Wie kam es, dass du aufgehört hast?

Ich bin ein hochsensibler Mensch. Ich bin einfach ein super ästhetischer Mensch und das hat mich von Anfang an extrem an meine Grenzen gebracht: mitten am Tag schon Alkohol zu riechen, mit Menschen zu arbeiten, die ständig über Grenzen gehen. Irgendwann habe ich so einen großen Ekel entwickelt, dass ich kaum noch freiwillig in Klientenkontakt gehen wollte. Da war dann ein Punkt erreicht, an dem klar wurde: Jetzt muss das jemand anderes machen. Um meinetwillen, aber auch um der Menschen willen, denen ich begegnete. Irgendwann war mir klar, dass es so unheimlich viel Kraft kostet, meine eigenen Grenzen immer wieder zu verteidigen. Ich brauchte auch wieder mehr Lebendigkeit in meiner Arbeit. Als Streetworkerin habe ich viel Lebenshilfe für Menschen ohne festen Wohnsitz gemacht, viel in Menschen investiert. Und doch gab es so viele Rückschläge. Ich war ziemlich ausgebrannt.

 

Was hast du durch deine Arbeit über deine eigenen Grenzen gelernt – auch deine Grenzen spezifisch als Frau?

Es hat mich bestärkt, vor allem als Frau. Denn ich spüre, dass ich ziemlich unabhängig bin; also finanziell, emotional, räumlich. Aber es war für mich oft ein Thema, in meiner Arbeit ohne Partner oder Familie zu sein. Manchmal wünschte ich mir doch jemanden an meiner Seite, mit Verbindlichkeiten. Jemanden, der mich unterstützt und den ich unterstützen darf. Doch ich bin glücklich, so wie es ist. Und lerne immer mehr, um Hilfe zu bitten und sie auch anzunehmen.

 

Wie hat die Erkenntnis über deine Grenzen dein Selbstbild oder deine Selbstwahrnehmung beeinflusst?

Ich glaube, ich musste genau diesen Job machen, um zu lernen, dass ich „grenzenlos“ bin. Es wäre nie so direkt bei mir angekommen, dass ich ständig Ja sage. Und dieser Prozess hört jetzt nicht auf, wo ich eine neue Stelle habe. Ich muss z. B. darüber nachdenken: „Sage ich jetzt Ja oder Nein? Nehme ich mir jetzt Zeit?“ Aber ich merke, da ist mehr Vertrauen gewachsen, dass ich Nein sagen und Grenzen setzen darf.

 

Was bedeutet „Grenzen setzen“ für dich?

Zum Einen, dass ich mir Zeit nehmen darf, zu antworten. Ich brauche nicht auf jede Frage sofort eine Antwort zu haben. Wenn mich jemand anruft und etwas fragt, sag ich erst einmal: „Gib mir fünf Minuten Zeit zum Nachdenken. Ich rufe dich zurück.“ Weil es genau diese fünf Minuten braucht, dass ich tatsächlich weiß, ob ich z. B. will oder nicht. Wenn es schneller geht, habe ich keine gute Verbindung zu mir und zu meinem Bedürfnis. Dann treffe ich oft Entscheidungen, die am Ende zu viel für mich sind oder mich überfordern. Und wenn es schneller gehen muss, z. B. bei körperlichem Kontakt, bin ich erst mal eher am Nein sagen. Erst mal Stopp, ein Stück zurück. Dann kann ich es immer noch relativieren und ein wenig lockern.

 

Wie sieht „Self-Care“ oder Erholung in deinem Leben aus? Hast du irgendwelche Routinen, die du in deinen Alltag integriert hast?

Ich schlafe unfassbar viel. Meine Nachbarn können bestätigen, dass ich immer erst um 9:30 Uhr auf meinem Balkon sitze und Kaffee trinke. Mit meinem Hund bin ich viel in der Natur. Wir fahren oft nach draußen ins Grüne und dann wandern und schlafen Filou und ich dort. Ich treibe auch ein bisschen Sport, spiele Volleyball, gehe bouldern. Ich bin total gerne am Meer und mit meinen Freunden zusammen. Viel mit Menschen zusammen zu sein, habe ich schon immer gebraucht.

 

Was ist eine Eigenschaft von dir, die du feierst?

Ich finde mich richtig lustig. Heute habe ich schon wieder zu meiner FSJlerin gesagt, dass ich so lustig bin. Weil ich über mich selbst gelacht habe. Dabei ist es mir relativ egal, ob jemand meinen Humor versteht. Ich lache wirklich sehr gern. Wenn ich lachen kann, dann geht’s mir gut.