Glänzende Vielfalt

Versöhnt mit meinen beiden Herkünften

Text: Carina Janßen // Fotos: Hannah Zint

„Fühlst du dich mehr als Deutsche oder mehr als Amerikanerin?“ Das ist immer eine der ersten Fragen, die mir gestellt werden, wenn jemand mitbekommt, dass ich beide Staatsbürgerschaften und meine Jugend in den USA verbracht habe. Allerdings weiß ich nie wirklich, was ich darauf antworten soll … schließlich bin ich beides.

Als ich 2010 nach der High School nach Deutschland kam, war es aus meiner Sprache herauszuhören: Ich bin nicht in Deutschland groß geworden. Freunde kicherten über sprachliche Fehltritte und so manche Satzstrukturen, die ich direkt aus dem Englischen übersetzte. „Das ist so amerikanisch von dir“, war ein Satz, der niemals böse gemeint war. Trotzdem fühlte es sich so an, als ob sie damit immer wieder mit dem Zeigefinger auf meine Andersartigkeit zeigten. Ich habe in diesen Situationen oft mitgelacht, meine Schultern gezuckt und so getan, als verstünde ich den Unterschied zwischen dem Gesagten und dem Korrigierten. Aber gleichzeitig füllten diese Situationen mein Herz oft mit Scham.

Mit der Zeit wollte ich immer weniger als „peinliche Amerikanerin“ auffallen. Wenn ich ein Wort nicht wusste, lernte ich, es zu umschreiben. Nach und nach wurde ich immer besser darin. Nach und nach vergaßen die Menschen, dass ich nicht in allem so war wie sie. Menschen, die ich neu kennenlernte, ahnten gar nicht mehr, dass ich ein Mensch zweier Kulturen, zweier Prägungen, zweier Persönlichkeiten war, von denen immer Aspekte auch in der jeweils anderen Landessprache zur Geltung kamen.

Sie sahen: Ich sprach deutsch. Ich war augenscheinlich deutsch. Alle um mich herum waren deutsch. Ich war – deutsch.

Nach einigen Jahren, in denen ich als „Inkognito-Deutsche“ unterwegs gewesen war, lernte ich plötzlich zwei amerikanische Frauen kennen. Sie waren erst seit ein paar Monaten in Deutschland. Während wir uns besser kennenlernten, erschrak ich darüber, wie oft mir ihre Handlungen oder ihre Sprache als „so amerikanisch“ auffielen. Schließlich war ich selbst vor acht Jahren genau wie sie gewesen. Einerseits fühlte sich vieles, was sie sagten und wie sie waren, so vertraut an. Gleichzeitig schien es aber irgendwie auch weit weg und ähnelte einem fast verdrängten Traum. Mir wurde auf einmal klar: Meine Sehnsucht, nicht so sehr als anders aufzufallen, hatte dazu geführt, dass ich eine Hälfte meiner Persönlichkeit und Herkunft begraben hatte.  

Doch mit diesen wunderbaren Frauen befreundet zu sein, erlaubte mir auf einmal, diesen Teil von mir selbst wiederzubeleben. Sie verkörperten einen wichtigen Teil meiner Herkunft. Und nach und nach versöhnten diese Freundschaften meine zwei Prägungen, die zwei Kulturen, die zwei Persönlichkeiten in mir. Weder bin ich „nur“ eine Amerikanerin noch „nur“ eine Deutsche. Ich bin eine perfekt abgestimmte Mischung aus beidem. Ich passe nicht in nur eine der Kategorien.

Menschen mögen allerdings Kategorien. Sie machen uns das Leben einfacher und greifbarer.  In der Serie Jack Ryan drückt Marie-Josée Croze, die eine Polizistin in Frankreich spielt, es so aus: „In Amerika kann man ein Afro-Amerikaner sein … man kann italienisch-amerikanisch sein. In Frankreich gibt es keine Bindestriche. Entweder man ist Franzose oder halt nicht.”[1] Als ich diesen Satz hörte, traf er mich ins Herz. In Deutschland ist es ähnlich. Man ist Deutschtürke oder in meinem Fall Deutschamerikanerin, mit Betonung auf dem Letzteren. Allerdings bin ich in manchen Situationen vielleicht sogar mehr Amerikanischdeutsche als anders herum.

Diese Vielfalt und diese Andersartigkeit sind genau das, was unser Land und unsere Leben bereichert. Es sind die Andersartigkeit und Vielfalt der Menschen und ihrer Geschichten, die sie so wunderschön machen. Erst als ich lernte, dass beide meiner Herkunftsländer Platz in meiner Persönlichkeit haben, hatte ich die Freiheit, zu mir als Ganzes zu stehen. Ich durfte die Kulturen, aus denen ich komme, genauer anschauen und aussuchen, was ich von beiden übernehmen wollte – und was auch nicht. So what, wenn ich dadurch als ein bisschen anders auffalle? Egal! Schließlich bin ich ja auch anders.

Das gilt nicht nur für mich, sondern letztlich für jeden und jede. Warum gibt es diese unausgesprochene Scham um das Anderssein? Wir sind unterschiedlich, jede anders als die andere, und das ist gut so! Dass du anders bist, ist genau das, was das Leben der Menschen um dich herum bereichert. Als Menschen brauchen wir immer mehrere Perspektiven, um ein mehrdimensionales Bild vom Leben zu bekommen. Je mehr unterschiedliche Perspektiven von unterschiedlichen Menschen, desto größer und tiefer ist das Bild, das daraus entsteht.

Wenn wir lernen, unsere Andersartigkeit anzunehmen und vielleicht sogar zu genießen, macht uns das frei, zu dem zu stehen, wie wir gemacht worden sind. Ich glaube daran, dass wir von einem Gott geschaffen sind, der sich uns in unserer Unterschiedlichkeit wirklich gut ausgedacht hat. Das macht uns frei, die Vielfalt der Menschen um uns herum nicht nur wahrzunehmen, sondern zu feiern! Wir werden frei davon, unseren Wert von unserer Ähnlichkeit zu oder Andersartigkeit von den Menschen in unserem Umfeld abhängig zu machen. Unser „Anderssein“ bleibt nicht mehr Messwert unserer Identität oder unseres Wertes. Wir können Stück für Stück die Angst loslassen, in unserer Andersartigkeit negativ aufzufallen. Stattdessen dürfen wir in unserer Vielfalt glänzen! Wir dürfen anders sein. Denn das sind wir schließlich! Wir dürfen die unterschiedlichen, einzigartigen, wunderbaren Frauen sein, als die wir gemacht sind. Auf unsere glänzende Vielfalt.

 


 

[1] Tom Clancy’s Jack Ryan: “In America, you can still be an African and an American. You can be a Mexican-American, an Italian-American, a Chinese-American. In France, there are no hyphenates. You are either French or you are not.”