Außerhalb der Komfortzone beschenkt: Ein Brief an dich
Text: Danielle Smith // Illustration: Annelie Tesch // Übersetzung: Conny Sasse
Das Wort, das meinen Geschmack am wenigsten beschreibt, ist bunt.
Manche Farben wirken auf mich so aggressiv und schrill, dass man mich wohl als hochsensibel bezeichnen würde. Ich tendiere eher zu neutralen Tönen und natürlichen Stoffen, allemal nichts, was irgendwie heraussticht oder aufschreckt.
So eine kontrastarme und gedeckte Farbpalette löst in mir das aus, was die Dänen Hygge nennen: die Gemütlichkeit eines knisternden Kaminfeuers, brennender Kerzen an einem Winterabend mit einer warmen Tasse Tee und einem Buch. Irgendwie spüre ich in diesen Hygge-Momenten, wie mir solche kleinen Dinge Trost spenden und meiner Seele zuraunen: Hier bist du sicher. Genauso wie bei meinen neutralen Farbtönen.
Ehrlich gesagt sind meine geliebten Beige- und Weißtöne ziemlich langweilig. Aber für mich strahlen sie einfach so viel Ruhe und Behaglichkeit aus.
Ich finde es sehr herausfordernd, das Sichere, Vertraute und Gewohnte zu verlassen. Meinen Vorlieben und Neigungen den Rücken zu kehren, ist, wie die Bequemlichkeit meiner vertrauten, lauschigen Wohnung zu verlassen, ohne zu wissen, was hinter der nächsten Ecke, nur wenige Meter weiter, lauern könnte.
Manchmal kann sich das Andere ganz schön bedrohlich anfühlen.
In dieser Ausgabe geht es darum, sich nach Vielfalt auszustrecken – sowohl nach der Schönheit als auch dem Durcheinander, wenn unsere jeweiligen Unterschiede aufeinanderprallen. Uns beschäftigt dabei, diese Verschiedenartigkeiten anzunehmen, sowohl in uns als auch in anderen, und zu begreifen, dass es letztlich das Anderssein ist, was wir alle gemeinsam haben. Und genau diese einzigartigen Unterschiede machen, das glaube ich, unser Menschsein zu einem unverkennbaren Spiegelbild des zeitlos Ewigen in jedem einzelnen Herzen.
Die meisten von uns würden wohl von sich sagen, dass sie offen und voller Akzeptanz anderen begegnen, deren Hintergrund, Glaubenssätze und Kultur sich von unseren eigenen unterscheiden. Vielleicht bist du sogar eine Person, die stolz darauf ist, besonders tolerant gegenüber anderen zu sein. Die meisten von uns können wahrscheinlich sogar Geschichten davon erzählen, wo wir Vielfalt begegnet sind und wie uns diese Erfahrung positiv geprägt hat.
Doch wie oft streben wir wirklich nach dem, was anders, fremd und missverständlich ist, wenn es auf Kosten unserer eigenen Bequemlichkeit geht? Und tolerieren es nicht nur, sondern lassen sogar das Vertraute hinter uns, um in die Komfortzone anderer einzutreten? Tauchen ein, um eine Kultur zu umarmen, deren Farben, Gerüche, Geschmäcker und Klänge für eine andere Person Heimat bedeuten – mit dem Wunsch, sich zu kennen, zu verstehen und zu lieben. Wie könnte es aussehen, wenn wir die Vielfalt unserer Kulturen, Geschmäcker, Situationen und unserer Schönheit so feiern und erstreben würden?
Morgan Harper Nichols schrieb kürzlich auf ihrem Blog: „Ich denke, Einheit bedeutet, die rohen Zutaten unserer jeweiligen Andersartigkeit auf den Küchentisch zu legen. Und an diesem Küchentisch schauen wir dann alle unsere Zutaten an und stellen fest, dass es tatsächlich ganz schön schwierig, chaotisch, zeitintensiv und kräftezehrend ist, zu versuchen, das alles zusammenzubringen.“[1] Das Gericht, das am Ende entsteht, wird höchstwahrscheinlich kein Hygge in mir auslösen, wie ich es mir vorstelle: serviert auf einem minimalistisch dekorierten Tisch, mit Leinendecke und schlichtem weißen Geschirr, natürlich alles um eine brennende Kerze herum arrangiert.
Wir wissen, wie viel Mut es kostet, die eigene Bequemlichkeit hinter uns zu lassen und uns dem Anderen zu öffnen, um von Menschen, die so ganz anders sind als wir, zu lernen, ihnen zuzuhören und von ihnen beschenkt zu werden. Wir sehen auch die Einsamkeit, wenn die eigene Herkunft, Hautfarbe oder einfach Andersartigkeit weder von anderen geschätzt noch von uns selbst gefeiert wird. Wo auch immer du dich heute auf diesem Spektrum befindest – bei der, die mehr Andersartigkeit braucht, der, die sich danach sehnt, in ihrem Anderssein akzeptiert zu werden, oder derjenigen, die sich danach ausstreckt, ihre Einzigartigkeit anzunehmen – diese Ausgabe ist für dich.
Bonita erzählt uns, wie sie die Schönheit ihrer Hautfarbe mutig feiert, obwohl sie ihr Leben lang Erfahrungen mit Rassismus gemacht hat. Kaila berichtet von ihren prägenden Jahren als Jugendliche, in denen sie sich in fast jedem Freundeskreis irgendwie außen vor fand. Franzi schreibt darüber, wie sie sich und ihre Verschiedenartigkeit oft selbst missverstanden hat und über die versteckte Vielfalt in jeder von uns. Carina spricht darüber, frei von den Kategorien zu sein, auf die ihre doppelte Staatsbürgerschaft sie oft reduziert hat und wie sie die einzigartigen Unterschiede der beiden Kulturen in ihr nicht länger verstecken muss. Andrea setzt sich ehrlich mit Neid auseinander und beschreibt, wie dieses unangenehme Gefühl uns davon abhält, die wunderschöne Einzigartigkeit von uns und anderen zu feiern. Angelina und ihr Mann reflektieren ihre Verschiedenartigkeit, was davon leichtfällt zu lieben und was … naja, nicht so leicht. Und Conny schreibt eine Ode an ihren Bruder, der das Down-Syndrom hat. Jede unserer Autorinnen teilt ihre persönliche Erfahrung und Herausforderung als Buntmalerin – als Frau, die die Welt nicht in schwarz-weiß sehen will und Mut zu unterschiedlichen, schrillen wie sanften Farben hat. Sie alle verbindet ihr Glaube, der ihre Perspektive prägt. Wir laden dich ein, wo auch immer du auf deiner Glaubensreise stehst, weiterzulesen und ihre persönlichen Geschichten zu genießen, auch wenn du manches vielleicht anders siehst.
An dieser Stelle möchten wir auch gerne einräumen, dass der Wunsch, Vielfalt umfassend abzubilden, die derzeitigen Möglichkeiten unseres kleinen, brandneuen Magazins übersteigt. Das ist ein Bereich, in dem wir wachsen wollen. Wir hoffen, in zukünftigen Ausgaben die Stimmen von immer mehr Frauen zu hören, zu feiern und von ihnen zu lernen.
Wir glauben, dass es sich lohnt, sich für eine Sichtweise zu öffnen, die Farbkleckse nicht scheut, die unsere Weltanschauung bereichert und unsere Liebe und unser Verständnis für unseren Nächsten wachsen lässt. Und dabei, wie unsere Autorin Bonita sagen würde, „gewinnst du die Welt“.
Willkommen, liebe Buntmalerin, zur zweiten Ausgabe von Wildblume.
Deine Danielle
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[1] https://morganharpernichols.com/blog/unity