Bonita

„Schwarze Frauen werden nie von irgendwem beschützt.“

Text: Danielle Smith // Übersetzung: Conny Sasse

 

Bonita habe ich zum ersten Mal vor fünf Jahren getroffen. Unabhängig voneinander waren wir zwei US-Amerikanerinnen nach Berlin gezogen, um befristet für eine gemeinnützige Organisation zu arbeiten. Da wir am jeweils anderen Ende der Stadt wohnten, sahen wir uns nicht sehr oft. Aber immer wenn wir uns trafen, hinterließ Bonita einen bleibenden Eindruck bei mir. Bonita ist jemand, die sich nicht scheut, in einem Meeting die unbequemen Fragen zu stellen, die alle anderen auch haben, sich aber nicht trauen, sie anzusprechen. Durch ihre tiefe Liebe und ihr ehrliches Interesse fühlt man sich gesehen, verstanden und wichtig.

 

Heute lebt Bonita wieder in den USA. Im letzten Jahr nahmen wir erneut Kontakt auf und Bonita berichtete über Rassismus und ihre persönlichen Erfahrungen damit.

 

Ich lade dich ein, gespannt mitzulesen und – so wie ich – von ihr zu lernen.

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„In der letzten Woche fühlte es sich so an, als wäre JEDER ein Feind.“ So lautete die Bildunterschrift von Bonita Lintons Instagram-Post am 6. Juni 2020. Darüber ein Foto eines Protests in Philadelphia.

 

Die aus Maryland stammende 28-Jährige war eine von Millionen von US-Amerikaner*innen, die auf die Straßen gingen, um zu trauern, zu protestieren und gegen strukturellen Rassismus einzustehen, nachdem George Floyd in Minneapolis am 25. Mai 2020 durch den Einsatz von Polizeigewalt getötet wurde.

 

Nur wenige Tage vor der Demonstration am 6. Juni befand sich Bonita in einem Zwiespalt: Sollte sie sich an den Protesten beteiligen? Sie sorgte sich um ihren Job als Regierungsangestellte, falls jemand von ihrer Arbeit sie dort sehen würde. Gleichzeitig fühlte sie sich schuldig, dass sie ihre Stimme nicht erhob, als sich ihr die Gelegenheit bot, gegen Ungerechtigkeit zu kämpfen.

 

„Schon als Kind habe ich mir immer die gleiche Frage gestellt: ‚Was hätte ich getan, wenn ich während der sozialen Bewegungen der 50er-, 60er- und 70er-Jahre gelebt hätte?‘ Jetzt kam meine Gelegenheit und ich war nicht dabei. Diese Schuld erdrückte mich.“

 

Schließlich fand Bonita eine erste Lösung, bei den Protesten dabei zu sein: Sie sprang in ihr Auto und bot Protestierenden aus ihrer Gegend an, sie nach Hause zu fahren, als die Polizei die Straßen abriegelte.

 

Als Bonita am nächsten Morgen durch ihre überwiegend weiße, wohlhabende Nachbarschaft spaziert, ist sie sich ihrer selbst mehr bewusst als sonst. In der Nacht zuvor hat ihre Stadt Plünderungen und Einbrüche erlebt – alle im Namen von Black Lives Matter (BLM), einem Anliegen, das sie als schwarze Person repräsentiert.

 

„Ich war wie gelähmt. Schnell rannte ich wieder nach Hause, schloss die Tür ab, weinte und verließ das Haus eine Woche lang nicht. Ich hatte solche Angst, niemandem mehr trauen zu können. Einfach nur, weil ich Schwarz bin. Ich war so wütend. Zum ersten Mal spürte ich, dass dieses Land nicht mein Land ist. Ich gehörte nicht dazu, ich war anders. Es war hart. Es ist wirklich, wirklich hart.“

 

Rassismus ist nichts Neues für Bonita. Als kleines schwarzes Mädchen, als schwarzes Kind in der Schule und jetzt als schwarze Frau in der Arbeitswelt, wo sie am meisten Rassismus erfährt, bekam und bekommt Bonita gespiegelt, „immer zu viel von etwas“ zu sein: zu laut, zu stark, zu temperamentvoll. „Einfach nur eine schwarze Frau zu sein, ist schon harte Arbeit.“ Mit ihrem Selbstbewusstsein und ihrer Widerstandsfähigkeit – die Bonita als ihre am stärksten ausgeprägten Fähigkeiten ansieht – erfüllt sie oft die Stereotype der „wütenden schwarzen Frau“. Ein Fluch in einem System, das für „weiße Mädchen in Not“ gemacht wurde, wie Bonita es nennt. „Schwarze Frauen werden nie von irgendwem beschützt.“ Auch ist es hart für Bonita, wenn ihre natürlichen Talente ausgenutzt werden. Wenn sie mit ihren weißen Freundinnen ausging, hatte sie oft die Rolle des Bodyguards – eine, die Gefahren abwendet und andere beschützt. Bonita hingegen wird emotionale Unterstützung oft versagt, weil andere davon ausgehen, dass sie das wegen ihres Selbstvertrauens nicht braucht. Stattdessen wird sie, sollte sie mal Wut äußern, schnell kritisiert. „Schwarze Frauen können sich nicht den Luxus leisten, Gefühle zu zeigen, ohne dass das als Drohung aufgenommen wird“, berichtet sie.

 

Die BLM-Bewegung führte dazu, dass wieder vermehrt über den Begriff Rassismus gesprochen wird – wobei viele Menschen dabei vor allem an offen geäußerte Ablehnung anderen, „andersartigen“ Menschen gegenüber denken. Doch da gibt es auch die viel subtilere Ebene der – zum Teil auch unwissentlichen – Diskriminierung. Sogenannter Alltagsrassismus kann von vielen Nichtbetroffenen allzu schnell übersehen werden. Ihnen ist oft gar nicht bewusst, dass sie rassistisch denken, sprechen oder handeln. Die Debatte um diesen harten und schwierigen Begriff löst deshalb bei vielen auch Unverständnis aus.

 

„Ich glaube, dass viele bei ‚Rassismus‘ vor allem an Geschehnisse aus der Vergangenheit denken. Auch wenn ich vielleicht nicht physisch gelyncht werde, so erlebe ich wegen meiner Hautfarbe doch oft Demütigung und Herabsetzung – mal ganz offen, mal versteckt, oft unbewusst aufgrund fehlender Empathie: eine Benachteiligung am Arbeitsplatz, ein zweideutiges Wort, eine unglücklich formulierte Frage oder ein Kompliment, das bei genauerem Hinsehen keines ist. „In meinem Alltag ist so vieles von rassistischem Denken und rassistischen Systemen geprägt. Und das schmerzt zutiefst. Deshalb verwende ich – verwenden wir – dieses Wort weiterhin, wenn wir solche Dinge erleben, damit andere die Auswirkungen ihres Verhaltens und dieser Systeme, die insbesondere People of Color belasten, verstehen können.“

 

Was schwarze Frauen auf besondere Weise zusammenschweißt, sei die geteilte Erfahrung mit Rassismus. Auf diesen Zusammenhalt ist Bonita besonders stolz, wenn sie darüber nachdenkt, was es für sie bedeutet, eine schwarze Frau zu sein. Von Herzen unterstützt sie ihre schwarzen Schwestern und feiert deren Erfolge. Mit einem breiten Lächeln im Gesicht bestätigt Bonita: „Auf alles können wir stolz sein – einfach, weil wir schwarz sind.“ Und trotz aller schwierigen Erfahrungen – die Ehre, eine schwarze Frau zu sein, möchte sie gegen nichts eintauschen, da ist sich die junge Frau sicher.

 

In ihrer Identität als schwarze Frau und ihrem Umgang mit Rassismus spielt auch Bonitas Glaube eine Rolle. In den Tagen nach George Floyds Tod stieg in ihr eine Wut auf, die am liebsten zurückschlagen wollte. Bonita vertraut darauf, dass Gott dieses Feuer in sie hineingelegt hat, um gegen Unrecht aufzustehen. Gleichzeitig möchte sie mithilfe ihres Glaubens denen gegenüber gnädiger sein, die – teils unbewusst – Dinge äußern, die Bonita als verletzend empfindet.

 

„Ich habe gelernt, auf die Stärke Gottes zu vertrauen, um für Black Lives Matter zu kämpfen. Und ja, ich muss darauf achten, dass ich selbst dabei nicht physisch oder emotional verletzt werde. Aber dafür zu kämpfen bedeutet auch, manchmal meine Emotionen herunterzuschlucken und Menschen zu erlauben, mir die gleichen ungeschickten Fragen fünfzig Mal zu stellen. Ohne meinen Glauben wäre ich weniger mitfühlend, weniger gnädig. Warum sonst sollte ich auch irgendjemandem Gnade und Barmherzigkeit gegenüber zeigen, wenn mir diese selbst regelmäßig verwehrt bleiben? Doch durch meine Glauben kann und werde ich das.“

 

Bonita liebt es, unterschiedliche Kulturen kennenzulernen. Ihre zwei Jahre in Berlin brachten sie ständig in Kontakt mit Menschen aus den verschiedensten Herkunftsländern. „An anderen Kulturen teilzuhaben, ist zunächst recht eigennützig. Du kannst kaum etwas geben. Du bist nur da, um zu nehmen. Aber indem du nimmst, wächst du. Und dieses Wachstum lädt andere Menschen ein, mitzuwachsen. Du bekommst die Welt geschenkt, wenn du dich Vielfalt gegenüber öffnest: soziale Kompetenz, kulturelle Intelligenz, ein anderes Level an Ausdruck und Mitgefühl und Anpassungsfähigkeit. Du fängst an, dich zu fragen Wie kann ich stetig bereichert werden? Und wenn du Vielfalt feierst, wirst du ständig von Schönheit erschlagen.“

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Wenn dich das Thema anspricht und du gern mehr lesen möchtest, hat Bonita zwei Lektüreempfehlungen (auf Englisch):

Why Are All The Black Kids Sitting Together In The Cafeteria? And Other Conversations About Race (Beverly Daniel Tatum)

„White Fragility: Why It’s So Hard for White People to Talk About Racism“ (Robin DiAngelo)